Über Steuern, Moral und Schneider-Ammann

Johann Schneider-Ammann ist laut Luzerner Zeitung in Bedrängnis. Die Rundschau hatte recherchiert. Frühere Steueroptimierungspraktiken der Ammann-Group unter seiner Leitung könnten eventuell illegal gewesen sein. Hätte Bundesrat Schneider-Ammann in diesem Fall seine Glaubwürdigkeit als Bundesrat, der sich für verantwortungsvolles Unternehmertum in der Schweiz einsetzt, verspielt? Wahrscheinlich schon. Selbst wenn das Verhalten völlig legal gewesen wäre, bleibt der moralische Aspekt: Darf man solche Steuerkonstrukte verwenden?

Ich persönlich hatte zwar immer schon Mühe mit der lange Zeit dominierenden Haltung in der Schweiz, Steuern seien ein Übel, dass es möglichst zu minimieren gelte. Ich erachte dies als eine höchst problematische Haltung gegenüber dem Gemeinwesen. Schneider-Ammann war zudem alles andere als mein Wunschkandidat für die Nachfolge Merz. Dennoch hat die ganze Geschichte für mich einen schalen Beigeschmack:

Gerade weil sich die Wertvorstellungen im Bereich Steuermoral in den letzten Jahren gewandelt haben (Stichworte: graue Liste, Weissgeldstrategie, etc.), finde ich es heikel jemandem einen Stick zu drehen, der eigentlich nur das getan hat, was wohl die meisten damals in einer vergleichbaren Situation getan hätten. Hilfe zur Steueroptimierung war — und ist wohl in abgeschwächter Weise immer noch — ein Pfeiler der Schweizer Finanzwirtschaft, mit vielen Unternehmen und Arbeitsplätzen. Wie legitim ist es da, früheres Verhalten oder das Verhalten von Personen, die besonders stark in der Öffentlichkeit stehen, mit anderen (oder gewandelten) Moralvorstellungen zu bewerten?

Bevor ich mich auf die Person Schneider-Ammann einschiessen würde, würde mich dann zumindest auch noch interessieren, wie viele mit der Ammann-Group vergleichbare Firmen ebensolche oder zumindest ähnlich grenzwertige Konstrukte verwendet haben. Meine Vermutung ist: ein grosser Teil. Auch würde ich dafür plädieren, das Verhalten der Firma insgesamt zu betrachten. Das EWR-Nein, daran erinnere ich mich, war für die Ammann-Group ein harter Schlag. Besonders steuergünstig ist Langenthal nicht. Und trotzdem ist die Firma in der Schweiz und an ihrem Standort geblieben und hat der Region viele wichtige Arbeits- und Ausbildungsplätze geboten. Mit einem grossen Angebot an qualitativ hochstehenden Ausbildungen hat sie zu einem Teil auch öffentliche Aufgaben wahrgenommen, für die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht aufkommen mussten. Zumindest müsste man bei der Bewertung des Unternehmers Schneider-Ammann, den Millionen, die die Firma durch  Finanzkonstrukte einsparen konnten, die Millionen entgegenhalten, die sie durch ihr Engagement in anderen Bereichen der Öffentlichkeit wieder zurückgegeben hat. 

Zuletzt würde ich auch interessieren, wer eigentlich hinter der Geschichte steht. Hat die Rundschau von sich aus ermittelt?  Oder wurde die Rundschau von Dritten auf die Geschichten aufmerksam gemacht haben? Wenn letzteres, was war der Beweggrund dieser Informanten: ging es tatsächlich um Aspekte der Steuermoral oder vielleicht eher um politische Motive, d.h. darum Schneider-Ammanns Position im Bundesrat zu schwächen. Schliesslich wird der Zirkus um die Verteilung der Sitze im Bundesrat ja bald wieder los gehen…