Die Schweiz räumt ihrer Bürgerschaft die weltweit stärksten Möglichkeiten ein, politische Entscheide an der Urne zu fällen. Behörden und Politik haben sich allerdings lange Zeit nicht dafür interessiert,  wie diese  Entscheide gefällt werden oder welche Beweggründe zugrunde liegen. Primär dem Engagement von Einzelpersonen und grosszügigen Spenderinnen und Spendern verdanken wir, dass die Schweiz, was die Erforschung des politischen Verhaltens angeht, nicht völlig ein Entwicklungsland geblieben ist. Siehe dazu auch die aufschlussreiche Entstehungsgeschichte der Vox-Analysen, erzählt von Hans Hirter. Darin nicht erwähnt, ist übrigens das äusserst aufwändige und teilweise privat finanzierte VoxIt-Projekt von Hanspeter Kriesi, mit dem die Vox-Analysen derart standardisiert wurden, dass Auswertungen über alle Abstimmungen hinweg möglich sind.

Natürlich ist es zulässig über den Sinn solcher Befragungen zu diskutieren und natürlich sollten auch Finanzierung, Qualität und Auftragsvergabe beachtet werden. Dennoch, man macht es sich jetzt ziemlich einfach, wenn man dies alles miteinander vermischt.  Nur, weil gerade wieder einmal offensichtlich wurde, dass Gesellschaftswissenschaften halt keine exakten Wissenschaften sind, auch wenn man dies, ob all den schönen Zahlen und Grafiken, nicht wahrhaben möchte. Stichprobenfehler, die Unmöglichkeit einer vollkommen repräsentativen Stichprobe, Verzerrungen durch falsche Antworten, etc., all diese Dinge treten unabhängig vom Befragungsinstitut auf und die Korrekturmöglichkeiten sind beschränkt und/oder teuer (z.B. kann der Stichprobenfehler nur durch eine höhere Anzahl Befragte reduziert werden). Doch selbst wenn das Instrument der Bevölkerungsumfrage Mängel aufweist, ist es doch eine äusserst wichtige Quelle, um Verhaltensmuster und Entwicklungen zu identifizieren.

Der Initiative der frühen Politologen und des gfs haben wir es zu verdanken, dass diese Datenquellen auch für die Abstimmungen in der Schweiz zur Verfügung stehen.  Ein riesiger Fundus an politikwissenschaftlichen Arbeiten gründet darauf. Vieles davon ist auch praxisrelevant und wird von verschiedener Seite genutzt. Nicht zuletzt bietet die Arbeit an den Vox-Analysen in den Universitäten Bern, Zürich und Genf auch Qualifikationsstellen für den politikwissenschaftlichen Nachwuchs.

Die Daten sind gut dokumentiert und stehen – nach einer gewissen Sperrfrist – für Sekundäranalysen zur Verfügung (natürlich anonymisiert). Dies im Gegensatz zu den Erhebungen des Bundesamtes für Statistik, dass sich nach wie vor ziert, seine äusserst aufwendig erhobenen Umfragedaten, allen Forschenden und Studierenden in der Schweiz zu denselben Bedingungen und ohne grosse Kostenfolgen zur Verfügung zu stellen (z.B. haben ETH-Forschende generell Zugang, Uni-Forschende nur im Rahmen von SNF-Projekten…). Ganz zu schweigen, von all den Umfragen, welche Bundesämter, Kantone oder anderen öffentlich finanzierte Körperschaften so in Auftrag geben. Diese werden oft unkoordiniert, ohne universitäre Begleitung und ohne zentrale Datenarchivierung durchgeführt. Nach einem Bericht, manchmal veröffentlicht aber nie das ganze Potential der Daten ausschöpfend, lagern die Daten irgendwo in einem privaten Meinungsforschungsinstitut, sind irgendwann nicht mehr lesbar oder gehen sonst vergessen. Umfragen sind teuer und wertvoll. Sie sind zudem immer Momentaufnahmen und können somit nicht wiederholt werden. Häufig lassen sie sich aber für verschiedene Fragestellungen verwenden. Wären die Daten verfügbar und sauber archiviert, könnten sie von ideenreichen Forschenden weiter verwendet, für die Ausbildung genutzt werden, und Nachwuchsforschende könnten sie für Publikationen verwenden und sich damit qualifizieren.  Genauso wie dies bei den Vox-Analysen im derzeitigen Regime möglich ist.

Die laufende Kampagne gegen die gfs, bei der die Idee rumgereicht wird, die Abstimmungsforschung irgend einem privaten Meinungsforschungsinstitut zu übertragen, scheint mir schon recht stümperhaft. Die gfs hat massgeblich zum Aufbau der Vox-Analyse beigetragen.  Dass sie heute immer noch massgeblich daran beteiligt ist, hat also nichts mit intransparenter Auftragsvergabe zu tun, sondern mit gewachsenen Strukturen und viel  Knowhow.

Aus Sicht der Schweizer Politikwissenschaft wäre es sicher begrüssenswert, die Abstimmungsforschung weiter zu institutionalisieren und zu verbessern. Wenn dadurch aber die enge Anbindung an die politikwissenschaftliche Forschung und Ausbildung verloren ginge und uns die Daten danach nicht mehr zur Verfügung stünden, wäre dies äusserst bedauerlich, kontraproduktiv und, eigentlich auch unfair gegenüber denjenigen, die dieses Forschungsinstrument auf- und ausgebaut haben.